Laborwerte bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen
Einleitung
In der Immunologie und Rheumatologie liefern Laborwerte wichtige Hinweise auf der Suche nach einer korrekten Diagnose. Mit ihrer Hilfe läßt sich zum Beispiel eine Abgrenzung gegenüber anderen Krankheiten vornehmen. Anhand der Laborwerte kann man aber auch beurteilen, wie aktiv die Erkrankung zum Zeitpunkt der Untersuchung ist.
Eine genaue körperliche Untersuchung und das Erfragen der Krankengeschichte bilden die Grundlage einer Diagnose. Mit Hilfe der Labordiagnostik kann man einen Verdacht bestätigen oder verschiedene mögliche Diagnosen weiter eingrenzen. Weitere Hinweise liefern auch Untersuchungen wie Ultraschall oder Röntgen.
Ein positiver Labortest heißt, daß mit einem Test das nachgewiesen wurde, wofür der Test bestimmt war. Ein negativer Test bedeutet keinen Nachweis. Ein Titer gibt die Höhe eines Testresultates bei Antikörperbestimmungen (Eiweiße des Blutes mit Abwehrfunktion) an.
Da die meisten Tests relativ unspezifisch sind, gibt es in der Rheumatologie häufig positive Tests, ohne daß die nachzuweisende Krankheit zwangsläufig vorliegen muß. Auf der anderen Seite können Tests auch negativ ausfallen, obwohl die nachzuweisende Krankheit besteht. Ein Beispiel soll dies erläutern: Bei der Diagnosefindung der Gicht liefert der Harnsäurespiegel im Blut einen von mehreren Hinweisen. Typischerweise ist er bei der Gichtarthritis erhöht. Das bedeutet allerdings nicht, daß bei jedem Menschen mit erhöhter Harnsäure eine Gichtarthritis besteht. Tatsächlich haben nur bei wenige Menschen mit erhöhter Harnsäure eine Gicht, die behandelt werden muß. Im Gegensatz dazu kann es vorkommen daß die Harnsäure bei einem akuten Gichtanfall nicht - wie eigentlich erwartet - erhöht ist. In einem solchen Fall ist die Erfahrung des Arztes besonders wichtig. Er muß die Vorgeschichte und den Charakter des Schmerzes erfragen und das Befallsmuster sowie die Art der Gelenksentzündung (Arthritis) beurteilen. Gegebenenfalls sind dann weiterführende Untersuchungen wie z.B. eine Gelenkpunktion nötig.
Im folgenden sollen einige wichtige Laborwerte und ihre Bedeutung vorgestellt werden:
Entzündungsparameter:
1. Die Blutsenkung ist erhöht bei akuten und chronischen Entzündungen, entzündlich rheumatischen Erkrankungen und Tumorerkrankungen. Der Nachteil ist, daß man einige Tage auf das Ergebnis warten muß, das zudem von vielen anderen Faktoren beeinflußt sein kann.
2. Das C-reaktive Protein (CrP) hat weniger Fehlermöglichkeiten und reagiert schneller. Für die Beurteilung des Verlaufs der Erkrankung ist eine Bestimmung der Titerhöhe hilfreich. Beim Systemischen Lupus Erythematodes zeigt ein CrP-Anstieg meist nicht eine Krankheitsaktivierung an, sondern eine frische Infektion.
3. Procalcitonin ist ein neuerer Entzündungsparameter, der im Zweifelsfall zwischen einer bakteriellen Infektion und der Aktivität einer rheumatischen Erkrankung unterscheiden soll.
Aktivitätsparameter bei Kollagenosen und Vaskulitiden:
1. Die Doppelstrang-DNA (ds-DNA) ist bei einem Schub des Systemischen Lupus Erythematodes häufig erhöht und sinkt mit ihrem Titer im Rezidiv (Krankheitsrückgang), kann sogar negativ werden. Ein Schub geht allerdings nicht zwangsläufig mit einer Erhöhung einher.
2. Die Complemente C3, C4, und CH50 sind bei Aktivität von Immunkomplexkrankheiten wie Kollagenosen und Immunkomplexvaskulitiden oft erniedrigt. In diesen Fällen lassen sich auch häufig Immunkomplexe nachweisen.
Blutbildveränderungen:
Veränderungen des Blutbildes sind sehr vieldeutig. Folgende
wichtige Veränderungen werden bei entzündlich rheumatischen
Erkrankungen gefunden:
1. Anämie: Das Hb (Hämoglobin) ist niedrig, die Erythrozytenanzahl (Zahl roter Blutkörperchen) erniedrigt, was bei einer Entzündung häufig vorkommt. Wenn der Hb bei Einnahme von bestimmten Rheumamedikamenten, den NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika), im Vergleich zu früheren Werten abnimmt, so ist das ein Alarmzeichen und kann auf eine Blutung im Magen oder Darm hindeuten. In seltenen Fällen kommt es zu einer Zerstörung von roten Blutkörperchen, wenn z.B. bei schweren Schüben von Kollagenosen oder Vaskulitiden ein Abfall des Hb beobachtet wird.
2. Vermehrung der Leukozyten (weißen Blutkörperchen): Hierfür gibt es viele mögliche Ursachen. Am häufigsten kommt es bei bakteriellen Infekten, bei Einnahme von Cortison, aber auch bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen, insbesondere beim Still-Syndrom (einer Sonderform der Rheumatoiden Arthritis), beim Churg-Strauss-Syndrom, bei der Infektarthritis, bei der Panarteriitis nodosa sowie bei der Purpura Schönlein-Henoch und dem Kawasaki-Syndrom des Kindes zu einer Vermehrung der Leukozyten.
3. Verminderung der Leukozyten: Beim Systemischen Lupus erythematodes, bei der Mischkollagenose und beim Felty-Syndrom, einer Sonderform der Rheumatoiden Arthritis, kommt es vor, daß niedrige Leukozytenzahlen festgestellt werden. Neben Infektionskrankheiten sowie Blut- oder Lymphkrankheiten können insbesondere Nebenwirkungen von Medikamenten zu einer Verminderung der Leukozyten führen. Hier sind sofort Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Gelenkpunktion:
Mit einer Gelenkpunktion gewinnt man Synovialflüssigkeit, die im
Krankheitsfalle vermehrt auftretende Gelenkflüssigkeit. Eine
Gelenkpunktion ist dann notwendig, wenn eine infektiöse
Gelenkschwellung ausgeschlossen werden soll. Gleichzeitig kann so
festgestellt werden, ob es sich um eine durch Kristalle
verursachte Krankheit wie Gicht oder Chondrokalzinose handelt. Im
Gelenkpunktat wird hauptsächlich durch sehr hohe
Leukozytenzahlen und Bakteriennachweis die Infektion bestätigt.
Kristalle können unter dem Polarisationsmikroskop festgestellt
werden.Bei entzündlich rheumatischen Krankheiten sind die
Leukozytenzahlen dagegen nicht so hoch, bei Arthrosen und dem
Zustand nach Unfällen noch niedriger.
HLA-B27:
Mit dieser genetischen Untersuchung wird ein bestimmtes Merkmal
nachgewiesen, das gehäuft bei folgenden rheumatischen Erkranken
vorkommt:
- In 90% beim Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans = SPA)
- In 40-70% bei der Psoriasisarthritis und den entzündlichen
chronischen Darmkrankheiten Morbus Crohn und Colitis ulcerosa,
wenn gleichzeitig eine Entzündung der Wirbelsäulengelenke
vorliegt
- In sehr unterschiedlichem Prozentsatz bei
sogenannten Reaktiven Arthritiden, also rheumatischen
Zweiterkrankungen nach einer durchgemachten Infektion
In Europa tragen aber auch 6-8% der gesunden Bevölkerung dieses
Merkmal. Da es ungefähr zehnmal mehr Gesunde als Kranke mit
diesem Merkmal gibt, eignet sich die Untersuchung des HLA-B27
nicht als Suchtest, sondern lediglich als Bestätigung bei
Verdacht einer Erkrankung aus diesem Kreis durch den erfahrenen
Arzt. Ein positiver Test bedeutet also nicht automatisch eine
Erkrankung, und ein negativer Test nicht automatisch deren
Ausschluß, da auch nicht alle Kranke dieses Merkmal tragen.
ASL= Antistreptolysintiter:
Der ASL ist ein Test zum Nachweis eines Antikörpers (Eiweißstoff
mit Abwehrfunktion, durch den Körper selbst gebildet) gegen das
Bakterium "Streptokokkus pyogenes der Gruppe A".
Viele Menschen verfügen in niedrigen Titern über Antikörper
gegen dieses Bakterium, manche auch mit leicht erhöhten Titern,
ohne deshalb krank zu sein. Akute Infektionen werden im
allgemeinen durch einen Abstrich nachgewiesen. Sehr selten
entwickelt sich nach einer Infektion mit diesen Bakterien ein
Rheumatisches Fieber oder ein Poststreptokokkenrheumatismus. Ein
Abstrich ist dann meist nicht mehr möglich. Der ASL (und weitere
Tests) können bei diesem Verdacht durch einen erfahrenen Arzt
zur Diagnostik mit herangezogen werden. Eine deutliche
Titerbewegung, das heißt im gleichen Labor durchgeführte
Wiederholung des Tests im Abstand von 2-3 Wochen mit Anstieg oder
Abfall des Wertes, spricht für eine durchgemachte Infektion. Ein
einzelner Test hat, soweit der Titer nicht ausgesprochen hoch
ist, keine Aussagekraft.
Der Rheumafaktor (RF):
Rheumafaktoren sind Autoantikörper. Es gibt unterschiedliche
Bestimmungsmethoden, bei dem das Ergebnis mit Titerhöhe
angegeben werden soll. Ein Vergleich mit einem früheren Wert ist
nur möglich, wenn die Untersuchung mit dem gleichen Test
durchgeführt wird.
Der Rheumafaktor ist kein Suchtest! Mit dem Alter steigt der
Anteil der Gesunden in der Bevölkerung, bei denen der RF
nachweisbar ist, von unter 5% auf über 20% an.
Auf der anderen Seite läßt sich nur bei 80% der an Rheumatoider
Arthritis Erkrankten auf lange Sicht ein RF nachweisen. Zu Beginn
der Erkrankung und bei leichterem Verlauf kann nämlich oft (noch)
kein RF gefunden werden. Bei folgenden rheumatischen Krankheiten
zeigt sich in über 50% ein positiver RF: Sjögren-Syndrom,
Mischkollagenose, Kryoglobulinämie II. Der Rheumafaktor tritt
auch bei chronischen Lungen-, Leber-, und Herzerkrankungen sowie
bei Infektionen auf. Deshalb gilt:
- Ein positiver RF allein bedeutet noch keine rheumatische
Erkrankung.
- Ein negativer RF schließt nicht aus, daß keine Rheumatoide
Arthritis vorliegen kann.
Wie bereits erwähnt, ist der RF kein Suchtest, sondern bei
Verdacht einer rheumatischen Erkrankung ein Baustein zur
Diagnosefindung. Insgesamt ist der RF aussagekräftiger bei
jungen Menschen, in hohen Titern (die meist einen Hinweis auf
einen schwereren Verlauf liefern) und zur Verlaufskontrolle der
Erkrankung.
Lyme-Arthritis:
Hier ist der Erreger ein bakterienähnlicher Mikroorganismus,
eine sogenannte Spirochäte. In Europa wird am häufigsten die
Spirochäte Borrelia burgdorferi durch einen Zeckenbiß der Zecke
Ixodes ricinus übertragen.
Zwei bis vier Wochen nach Infektion können IgM Antikörper nachgewiesen
werden, vier bis acht Wochen später IgG Antikörper. Die
eigentliche Lyme-Arthritis tritt jedoch erst Wochen bis Monate später
auf. Ein negativer Test schließt diese Erkrankung aus.
20% der Bevölkerung verfügen über Antikörper gegen Borrelien,
ohne krank zu sein, was auch diesen Test als Suchtest völlig
unbrauchbar macht, da nur ein winziger Bruchteil der Test-positiven
eine Lyme-Arthritis hat. Wird dieser Test also von einem
Unerfahrenen eingesetzt, ohne daß ein eindeutiger Verdacht
aufgrund von Untersuchung und Krankengeschichte vorliegt, so
sinkt die Aussagefähigkeit gegen Null, und die Kranken werden
durch diese Laborwerte nur verwirrt. Auch der Bestätigungstest
"Western-Blott" dient nur zur schärferen
Abgrenzung unklarer Ergebnisse. Die Veranlassung und
Interpretation sollte nur durch einen fachkundigen Arzt erfolgen,
da auch hier angesichts der vielfältigen Interpretationsmöglichkeit
meist mehr Verwirrung als Aufklärung gestiftet wird.
Autoantikörper:
ANA und ENA: Das sind die
Abkürzungen für Antinukleäre Antikörper und Extrahierbare
nukleäre Antikörper, die der Mensch gegen körpereigene
Zellbestandteile bildet. Der Nachweis wird bei Verdacht auf
verschiedene Kollagenosen durchgeführt, um den körperlichen
Untersuchungsbefund zu bestätigen. Wiederum gibt es positive
Testergebnisse in niedrigeren Titerstufen (bis 1:320 oder sogar 1:640)
bei Gesunden. Deren Anteil nimmt mit dem Alter auf bis über 20%
zu.
Bei Verdacht auf Kollagenose (Systemischer Lupus erythemathodes,
Sklerodermie, Polymyositis, Dermatomyositis, Sjögren-Syndrom)
sind der ANA Test und gegebenenfalls seine Spezifizierung im ENA
Test sinnvoll. Ohne Verdacht ist die Testdurchführung nicht
aussagekräftig, da die Mehrzahl der ANA-positiven Menschen
gesund ist. Im Falle einer Erkrankung sollte dann eine genaue
Klassifizierung der Kollagenose durch den Rheumatologen erfolgen.
Die Diagnose von Vaskulitiden kann durch den Nachweis von Antikörpern
erleichtert werden, die gegen Bestandteile der weißen Blutkörperchen,
die Granulozyten, gerichtet sind. Es handelt sich um die c-ANCA
und die p-ANCA. Einem neuen Krankheitsschub geht häufig,
aber auch nicht zwangsläufig, ein Anstieg der Titer dieser Antikörper
voraus.
Die Interpretation von Laborwerten
zur Diagnosestellung bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen
ist grundsätzlich schwierig und bedarf in den meisten Fällen
des internistischen Rheumatologen.
Ist die Diagnose erst einmal sicher gestellt, sollte der
Erkrankte regelmäßig durch Befragung, körperliche
Untersuchung, Überprüfung der Medikation, Laborkontrollen und
weitere Untersuchungsverfahren kontrolliert werden. Die Leitung
des Untersuchungsprogramms übernimmt gewöhnlich der
Rheumatologe in größeren Abständen, die regelmäßige
Untersuchung der Hausarzt. Jetzt sind die Laborwerte als
Verlaufsparameter (s.o.) für den Arzt und den Kranken von
Bedeutung. Diese Werte sind im allgemeinen leichter zu verstehen,
so daß eine Aktivierung oder Komplikation der Erkrankung von
Hausarzt und Patient erkannt werden kann.
Dr. Stefan Heitmann
Rheumatologie an der Veronika-Klinik Stuttgart
Gänsheidestraße 49
70184 Stuttgart